Kaum entdeckt, sind sie mit einem Hüpfer weg
Neuer Band der Schriften der Paul-Feindt-Stiftung befasst sich mit den heimischen Heuschrecken
Von Marita Zimmerhof
Als vor sechs Jahren der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering geldgierige Private-Equity-Gesellschaften als Heuschrecken beschimpfte, bekamen die kleinen Hüpfer über Nacht zweifelhafte Berühmtheit. Dabei sind es doch nur die Wanderheuschrecken aus der Familie der Feldheuschrecken, die im Millionenheer immer wieder ganze Landstriche kahlfressen und schon im Alten Testament als „biblische Plage" beklagt wurden. Die meisten Heuschrecken aber, die in unseren Breiten durch Wiesen und Gebüsch hüpfen, sind harmlos und oftmals sogar in ihrem Bestand bedroht. Doch selbst viele Naturfreunde kennen sich mit dieser Insektenordnung nur wenig aus. Diese Lücke füllt nun ein bemerkenswertes neues Buch, das der Hildesheimer Naturkundler Günter Grein geschrieben hat und das als achter Band in der Schriftenreihe der Paul-Feindt-Stiftung des Ornithologischen Vereins zu Hildesheim e.V. (OVH) erschienen ist.
Aufgewachsen ist Grein auf der Saline Heyersum; was lag da näher, als sich auf dieser kleinen grünen Insel inmitten der Rübensteppe für Natur zu interessieren? Später zog die Familie nach Hildesheim; hier nutzte der junge Mann jede freie Minute, um auf dem Galgenberg nach besonderen Pflanzen Ausschau zu halten. Mehrere hundert Arten, sagt OVH-Vorstand Bernd Galland anerkennend, bringe Grein - seit 31 Jahren OVH-Mitglied - mühelos aus dem Gedächtnis zusammen. Wer mit offenen Augen und offenem Herzen die Natur durchstreift, wird sein Augenmerk irgendwann aber auch auf die agilen kleinen Insekten lenken, die sich beim Näherkommen mit einem beherzten Sprung in Sicherheit bringen. Schon deshalb ist es schwierig, die Tiere genauer unter die Lupe zu nehmen. Kaum entdeckt, sind sie schon weg.
Grein ließ sich davon nicht entmutigen. Fast 40 Arten sind bei uns im Landkreis heimisch. Die ersten Heuschrecken lebten wohl schon vor 195 Millionen Jahren auf dieser Erde, seit 65 Millionen Jahren gibt es Arten, die den heutigen sehr nahe kommen. Heuschrecken, auch Springschrecken genannt, haben wie alle Insekten drei Beinpaare, auffallend sind ihre langen, kräftigen Hinterbeine, die ihnen ihre enorme Sprungkraft verleihen und die sie von den Fangschrecken (Gottesanbeterin) und den Stabheuschrecken unterscheiden. Typisch sind zudem die kauenden Mundwerkzeuge, die großen Facettenaugen und die doppelten Flügelpaare.
Überraschend ist die Bandbreite, mit der Heuschrecken im Laufe ihrer Evolution ganz verschiedene Lebensräume erobert haben: Während einige im Schutz der Wiesengräser leben, bevorzugen andere einen kargen, vegetationsarmen Untergrund, wieder andere leben in Bäumen und ernähren sich dort vom Grün holziger Pflanzen. Einige Arten haben sich zur Tarnung farblich perfekt ihrer Umgebung angepasst, wieder andere erlauben sich den Luxus, als bunte Gesellen mit schönen Musterungen auf dem Chitinpanzer durchs Leben zu hüpfen.
Wurden die Heuschrecken früher zu einer Ordnung zusammengefasst, den Saltatoria, wird heute in zwei Ordnungen unterschieden: in die Langfühlerschrecken (Ensifera), zu denen die Grillen und die Grünen Heupferde gehören, und die Kurzfühlerschrecken (Caelefera), zu denen auch der Gemeine Grashüpfer zählt. Wie die Namen vermuten lassen, besitzen die einen dünne, weit über den Körper hinausragende Fühler, während die anderen nur kurze Fühler tragen.
Wenn Günter Grein ins Gelände geht, um seine Heuschrecken zu kartieren, verlässt er sich allerdings nicht allein auf seine visuellen Eindrücke. Jede Heuschreckenart hat nämlich ihren eigenen Gesang. Und der ist so charakteristisch, dass man die Tiere darüber bestimmen kann, ohne sie fangen zu müssen. Für manchen Naturfreund ist der zirpende Gesang ein Inbegriff für Sommer.
Im antiken Griechenland waren die Heuschrecken dem Gott Apollo, dem Schutzheiligen der Musik, geweiht. Dabei singen die Insekten nicht im herkömmlichen Sinne über Stimmbänder Bei den Langfiügelschrecken erzeugen die Männchen die Töne durch Aneinanderreihen der Deckflügel, die eine mit Querrippen versehene Schrillleiste und eine Schrillkante haben. Bei den kurz flügeligen Verwandten werden die Hinterbeine an den Flügeldecken gerieben, und das zum Teil mit enormer Frequenz.
Mit ihren Lauten markieren die Männchen ihre Reviere und locken Weibchen an, sie setzen sie auch als Balzgesang ein, um die Paarungsbereitschaft zu erhöhen. Fühlen sich die Sänger bedroht, verstummen die Gesänge auf der Stelle. Wenn manche Lieder von Menschen nicht zu hören sind, liegt das vielleicht aber auch an der Frequenz. Viele Töne liegen im Ultraschallbereich jenseits unserer Wahrnehmung. Bestenfalls kann das menschliche Ohr Töne zwischen 16 und 20.000 Hertz erkennen, einige Heuschrecken bringen es aber auf bis zu 30 Kilohertz. Geht Grein auf Erkundungstour, hat er ähnlich wie die Fledermausforscher einen Detektor dabei, der die Töne auffängt und für ihn wissenschaftlich verwertbar macht. In jahrelangen Feldstudien hat der sorgfältige Naturbeobachter reiches Wissen angesammelt, das er in seinem Heuschrecken-Buch nun jedermann zugängig macht. In übersichtliche Kapitel gegliedert, erfahren die Leser zunächst allerlei Wissenswertes über Heuschrecken allgemein, danach wird jeder Art eine sorgfältige Monografie gewidmet.
Grein erklärt die Namensbedeutung, den Lebensraum, die Verbreitung und den Bestand, aber auch den Gefährdungsgrad und individuelle Besonderheiten. Eine Verbreitungskarte für den Landkreis und zahlreiche hervorragende Fotos runden die Darstellung ab, so dass sowohl Anfänger als auch eingearbeitete Heuschrecken-Freunde eine fesselnde Lektüre in den Händen halten. Zudem werden die interessantesten Beobachtungsgebiete im Landkreis vorgestellt, so dass der geneigte Leser bei seiner nächsten Exkursion nicht ins Leere läuft.
"Die Heuschrecken in Landkreis und Stadt Hildesheim" - Achter Band der Schriften der Paul-Feindt-Stiftung, Autor: Günter Grein, ISBN: 97Ä-3-926247-01-8, 124 Seiten, viele farbige Abbildungen und Karten. 16,95 Euro.
© Hildesheimer Allgemeine Zeitung